Dampflokomotive Molly
Als 1942 inmitten des Zweiten Weltkrieges der Bau des Flusskraftwerkes Auenstein-Rupperswil begann, benötigte man zur Beförderung der Baumaterialien, vor allem aber der anfallenden Erdmassen ein geeignetes Transportsystem. Da zu dieser Zeit weder Lastwagen noch Förderbandanlagen mit geeigneter Kapazität vorhanden waren, entschied man sich für die Anlegung eines Rollbahnnetzes. Dabei fiel die Wahl der Spurweite auf die in der Schweiz weit verbreitete 750mm Spur. Gegenüber der 600mm Spur bestand so auch der Vorteil, dass wesentlich grössere Fahrzeuge eingesetzt werden konnten.
Die bauführende Bauunternehmung Unterwasserkanal Rupperswil Los 2 GmbH, besser bekannt unter dem Namen „Vereinigte Bauunternehmung“ (VEBA), stellte bald nach Baubeginn fest, dass für die vorgesehenen Erdtransporte drei zusätzliche Dampflokomotiven benötigt würden. Da alle anderen Bauunternehmungen ihre Lokomotiven bereits selbst auf eigenen Grossbaustellen im Einsatz hatten, liessen sich auch keine hinzu mieten. Aufgrund des Krieges konnte man ebenso wenig neue Feldbahnloks aus dem Ausland beschaffen. Deshalb gelangte man Ende 1942 an die Schweizerische Lokomotiv- und Maschinenfabrik SLM in Winterthur. Es wurde um die „raschmöglichste Lieferung von drei neuen, starken dampfbetriebenen Baulokomotiven der 75cm Spur“ gebeten.
Innerhalb kürzester Zeit wurde ein komplett neuer Bauloktyp entworfen, der den vorgegebenen Bedürfnissen entsprach. Dank guter Erfahrungen mit dem damals noch relativ jungen Schweissverfahren konnte beim Bau der Loks grösstenteils auf das traditionelle aber zeitaufwändige Nieten verzichtet werden. So war es möglich, die bisher übliche Bauzeit wesentlich zu verkürzen. Deshalb konnte bereits im März 1944 die Lok Nr. 10 „Auenstein“ an die VEBA abgeliefert werden. Sie wurde sogleich in Betrieb genommen. Ende April stellte man ebenso die beiden andern Loks, die Nr. 11 „Wildegg“ sowie Nr. 12 „Rupperswil“ fertig und brachte sie zur Baustelle. Dort fand am 1. Mai 1944 eine kleine Feierstunde zur Inbetriebnahme der drei Loks statt.
Nach knapp drei Jahren Betrieb wurden gegen Ende 1947 die Bauarbeiten beendet und der Feldbahnbetrieb eingestellt. Die neu gegründete Veba AG Zürich übernahm 1948 das Material der sich auflösenden VEBA. Damit wechselten auch die drei grossen SLM-Dampfloks ein erstes Mal den Eigentümer. Sie wurden in Niederhasli in einem firmeneigenen Schuppen eingelagert.
Als sich die Veba AG 1958 an den Erweiterungsarbeiten des Flughafens Zürich-Kloten beteiligte, gab es eine neue Chance für das System Feldbahn. Das Land um die zu erweiternde Blindlandepiste war sehr sumpfig und liess einen Einsatz von den sich damals immer weiter verbreitenden Lastwagen nicht zu. So baute man für die zwei Jahre dauernden Arbeiten eine Feldbahn auf. Im Streckendienst der Baustelle setzte man fünf Dieselloks ein, für den Rangierdienst wählte man die beiden Dampfloks Wildegg und Täuffelen. Kurzzeitig wurde auch die Auenstein nochmals eingesetzt. 1960 wurden die zwei Dampfloks Rupperswil und Auenstein an die Thuner Baufirma Frutiger verkauft. Ihre weitere Geschichte finden Sie unter „Verschwundene Fahrzeuge“.
Wildegg und Täuffelen sind somit die letzten Dampflokomotiven, die auf einer Schweizer Baubahn eingesetzt wurden. Nach Beendigung der Arbeiten wurden 1961 beide wieder nach Niederhasli gebracht. Die Täuffelen wurde 1962 an einen Privatmann verkauft, die Wildegg musste sich noch weitere vier Jahre gedulden. Erst als sich die Veba AG 1966 überlegte diese zu verschrotten, wurde Max Kuhn - ein Biscuitfabrikant aus Turgi – aktiv und kaufte die Dampflok. Anfänglich wollte er sie auf einem leerstehenden Gelände in der Nähe des Bahnhofes Turgi auf einer Gleisstrecke in Betrieb nehmen. Aus unbekannten Gründen unterblieb dieser Betrieb. Am 26. August 1967 wurde die Wildegg im Rahmen des Jugendfestes als Denkmal auf dem Bahnhof Turgi aufgestellt und der Schuljugend geschenkt. Die Schüler von Turgi wählten für ihre Lok den Namen Molly. Seither ist dieser Name mit einem Schriftzug aus Messing an ihren beiden Seitenkasten angeschrieben.
Mit Fortschreiten der Umbaupläne für den Bahnhof Turgi kristallisierte es sich heraus, dass sich die Denkmallok nirgends so richtig integrieren liess. Dies führte glücklicherweise dazu, dass sie nach längeren Abklärungen und Verhandlungen als Leihgabe an den Verein SchBB übergeben wurde. Am 22. November 1994 traf die Lok in der Baumschule ein. Beim Ablad wurden gleich die Radsätze zur Umspurung bei der SLM in Winterthur ausgebaut. Da sich die Lok in einem guten Zustand befand, liessen sich viele Arbeiten ziemlich zügig erledigen. Stück für Stück wurde die Lok zerlegt und alle Teile sorgfältig revidiert. So war es möglich, im Winter 1996/1997 die neuen Siederohre in den Kessel einzubauen. Im März 1997 bestand der Kessel dann die Wasserdruckprobe. Mit dem Einbau der bei der SchBB benötigten Druckluftbremse veränderte sich die Optik der Molly ein wenig. Die prominent seitlich an der Rauchkammer angebrachte Luftpumpe sowie der quer am Stossbalken befestigte Luftbehälter inklusive eines darüberliegenden Bleches unterstreichen die bullige Gestalt der kräftigen Baulok.
Am 13. April 1999 war es dann so weit: Nach 40 Jahren konnte erstmals wieder ein Feuer im Kessel der Molly entfacht werden. Die Warmdruckprobe verlief zur allgemeinen Zufriedenheit und auch der Kesselinspektor des SVTI war zufrieden. Auf den Tag genau 55 Jahre nach der ersten Inbetriebnahme konnte am 1. Mai 1999 die Molly auf ihre zweite Jungfernfahrt gehen, diesmal aber auf etwas schmaleren Gleisen.
Aufgrund ihrer robusten Bauweise, der einfachen Bedienung und ihrer allgemein hohen Zuverlässigkeit wurde die Molly sehr häufig eingesetzt. Nach fast zwölf Jahren zuverlässigem Einsatz für die Baumschulbahn zeigte sie diverse Ermüdungserscheinungen. So wurde die Lok im Juni 2011 nach der Inbetriebnahme der Taxus abgestellt. Ende Juni 2012 konnte damit begonnen werden, die Lok zu zerlegen. Bereits einen Monat später fehlten alle Siederohre. Nach Saisonende konnte der Kessel abgehoben werden. Da der Kessel zum ersten Mal von allen Seiten frei zugänglich war, beschloss der Verein SchBB, nicht nur eine Reparatur des Bodenringes, sondern eine komplette Kesselrevision mit Ersatz sämtlicher Siederohre und Stehbolzen durchzuführen. Da der rehbraune Anstrich ziemlich ausgeblichen war, erhielt die Lok einen historisch passenderen Anstrich. So erhielten das Führerhaus sowie die Seitenkästen einen dunkelgrünen Anstrich. Kessel, Dampfdom, Zylinderverschalung und die Luftpumpe wurden schwarz. Zum Dreizugbetrieb im September wurde sie offiziell wieder in Betrieb genommen.
Geschichte
1944 Ausgeliefert von der Schweizerischen Lokomotiv- und Maschinenfabrik, 3834/19441. Mai 1944 Inbetriebnahme auf der Baustelle des Aarekraftwerkes Rupperswil – Auenstein
1947 Beendigung der Bauarbeiten und Abstellung der Lok
1948 Verkauf an Veba AG Zürich, Einlagerung in Niederhasli
1958 Reaktivierung für Baustelle Blindlandepiste Flughafen Zürich
1961 Abschluss der Arbeiten und Abstellung der Lok
1966 Verkauf an H. Kuhn in Turgi, kosmetische Aufarbeitung
26. August 1967 Aufstellung als Denkmal am Bahnhof Turgi, Schenkung an die Schuljugend
1967 Umbenennung in Molly
1977 bis 1978 Kosmetische Revision durch S. Liechti
1994 Leihgabe an den Verein SchBB
1995 Beginn der Revision zur betriebsfähigen Lok
1. Mai 1999 Zweite Jungfernfahrt bei der SchBB
1999 Wiederinbetriebnahme
Pfingsten 2001 Einsatz bei der CFCD zum 30. Jubiläum der Museumsbahn
28. bis 30. Juni 2002 Einsatz in Turgi anlässlich der Verleihung des Wakker Preises.
2011 Abstellung für Revision
2013 Wiederinbetriebnahme nach Kesselrevision
1. Mai 2014 Feier zum 70. Jubiläum der Molly
Daten
Achsfolge | B n2t |
Baujahr | 1944 |
Hersteller | SLM (Schweiz) |
Fabriknummer | 3834 |
Zustand | in Betrieb |
In Schinznach seit | 1994 |
Eigentümer | Schuljugend Turgi (Leihgabe an den Verein Schinznacher Baumschulbahn) |